ANT!FOTO Talks & Bar.

09.08.2023, 18 Uhr
Mit Regine Ehleiter
Zentralbibliothek Düsseldorf

Der Einsatz von Fotografie war für viele Konzeptkünstler*innen in den 1960er Jahren ungewohntes Territorium. Lawrence Weiners Schnappschüsse einer Gruppe von Arbeitern auf den Straßen New Yorks, die er 1969 für Lucy Lippards Ausstellung Groups porträtiert, sind so dunkel, dass sich das Motiv darauf nur mit Mühe erkennen lässt. In der Konzeptkunst galt die Fotografie als ideales Werkzeug einer vermeintlich „neutralen“ Aufnahme von Fakten und Information. Entsprechend charakterisierte Douglas Huebler im selben Jahr die Fotokamera noch als ein „tumbes Kopiergerät“, das jegliche Phänomene dokumentiere, die vor seiner Linse erschienen, und „keine ästhetischen Entscheidungen“ ermögliche.

Das verbreitete Bestreben, Subjektivität und individuellen Ausdruck weitgehend zu vermeiden, beförderte auch den wachsenden künstlerischen Einsatz von Reproduktionsverfahren wie der Fotokopie und Xerografie, die in den 1960er Jahren erstmals massentauglich verfügbar wurden. Zu den bekanntesten konzeptuellen Foto-Publikationen in diesem Stil zählt das „Xerox Book“, eine im Dezember 1968 vom New Yorker Kurator Seth Siegelaub organisierte Gruppenausstellung mit xerografisch erzeugten (aus Kostengründen jedoch im Offsetdruck reproduzierten) Beiträgen. Während Siegelaubs Bemühen um ein Sponsoring durch die Xerox Corporation jedoch damals erfolglos blieb, lud nahezu zeitgleich das japanische Unternehmen Fuji Xerox um 1970 gezielt Künstler*innen ein, mit dem Verfahren der Xerografie zu experimentieren und ihre Arbeiten im unternehmenseigenen Magazin Graphication zu präsentieren.

Der Vortrag geht anhand (teils) im Original einsehbarer Beispiele konzeptueller Foto-Publikationen – wie der kanadischen Anthologie BC Almanac(h) C-B (1970), Magazinausstellungen auf den Seiten der britischen Zeitschrift Studio International und internationalen Mailart-Ausstellungen, etwa von Matsuzawa Yutaka und Sunohara Toshiyuki – in mäandernden Bewegungen auf eine sich in Europa, Asien, Lateinamerika und an anderen Orten entfaltende Debatte um den Status von Reproduktionen, die Beziehung von Fotografie, Materialität und Faktizität sowie das Verhältnis von Ausstellung und Publikation ein. Am Beispiel der Fotografie als eines bereits historisch eng an das Buch geknüpften Mediums skizziert der Vortrag einen sich in unterschiedlichen künstlerischen und geografischen Kontexten vollziehenden radikalen Wandel des Öffentlichwerdens von Kunst in den 1960er Jahren.

Regine Ehleiter arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Exzellenzcluster „Temporal Communities“ der Freien Universität Berlin. Für ihre 2022 verteidigte Dissertation zu „Praxisformen des Ausstellens in Publikationen“ (Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig) unternahm sie 2015/16 umfangreiche Forschungsreisen in den USA, war 2018/19 als Gastwissenschaftlerin am Courtauld Institute in London und anschließend als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hildesheim und dem Institut für Theorie der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig tätig. Schwerpunkte ihrer kuratorischen Praxis bilden Ausstellungen zu zeitgenössischer Fotografie, Künstler*innenpublikationen und zu Literatur- und Designgeschichte des 20. Jahrhunderts.

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